Archiv der Kategorie: Therapie

Neue Schuhe, ein Drama

Ich glaube, in meinem früheren Leben hatte ich so einen klitzekleinen Schuhtick. Mit absoluter Sicherheit war mir mein Äußeres sehr viel wichtiger als heute. Wenigstens habe ich mir jeden Tag überlegt, welche Schuhe und welcher Schmuck zum Tagesoutfit besser passen würden.

Heute schlüpfe ich jeden Tag in das Selbe ausgelatschte Schuhwerk, ganz links im Bild. Damit kann ich aber ein paar Schritte gehen und fühle mich sicher.  Der Mann an meiner Seite schämt sich nun dafür, also musste neues Schuhwerk her.   Ich vermute keine Frau dieser Welt wehrt sich gegen neue Schuhe. Wir zwei also auf ins nächste Einkaufszentrum. Wirklich schöne Schuhe muss ich gar nicht erst versuchen und kann ich mir sparen. Sportgeschäfte mit wunderbar vielen bunten Sneakers, Barfusschuhen, etc. sprechen mich einfach an. Ich mag es farbig. Mein linker Fuß war schon beim Gedanken an Schuhe anprobieren auf Krawall gebürstet und verdreht sich spastisch nach innen.  Dem könnte ich mit einer Runde Meditation und in mich gehen  vielleicht etwas entgegenwirken.   Das ist unter Beobachtung meines Partners und der  sowieso schon total geduldigen Schuhfachverkäuferin aber echt kompliziert.  Vom Alter her habe ich das Bergfest meines Lebens rein rechnerisch überschritten und darf in aller Ruhe schrullig und komisch werden, aber  so ein meditativer Strandspaziergang mit Wellenrauschen und Muschelklimpern mitten im Schuhladen geht dann doch nicht.

 Daraus schließen wir.“Schuhe im Geschäft kaufen ist Stress pur“!! Und führt zu keinem Einkaufserfolg.

 

Also wieder zurück im trauten Heim habe ich im Internet nach Barfussschuhen gestöbert, weil ich die dann ganz für mich alleine in aller Ruhe anprobieren kann. OK, gefunden, bestellt, geliefert. das geht bei A-Z…… ja innerhalb von 1 -2 Tagen.

Die Schuhe sind super bequem, federleicht, sehen für mein Auge ganz gut aus. Gehen kann ich darin jedoch noch nicht!  Jetzt werde ich mein  Verhalten umstellen müssen und die neuen Schuhe jeden Tag ein paar Stunden tragen, hineinfühlen, links mit rechts vergleichen, gedanklich genauestens untersuchen und erspüren, wie der Kontakt zum Boden ist, was ich fühle.

Ferse, Ballen, Fußgewölbe, Zehen, sind alle da?????

In der Therapie werden meine Therapeutin und ich ein paar Übungen mit den Schuhen machen und irgendwann nach X? Wochen haben mein Gehirn und mein Denken sich daran gewöhnt und ich kann auch mit den dann nicht mehr ganz so neuen Schuhen ein paar Schritte gehen.

 

In der Mitte und grade sitzen

Letzten Donnerstag fragte mich meine Therapeutin, weshalb ich denn grade sitzen möchte?

Das Bild mit dem orange/schwarzen Shirt ist topaktuell. Man beachte meine beiden Schultern- mehr oder weniger auf einer Höhe.

Es ist einfach so, dass ich mich eher gesund als krank fühle. Natürlich weiß ich um meine Erkrankung, große Bereiche meines Gehirns sind einfach beschädigt und in ihrer Funktion eingeschränkt. Aber ich möchte nicht, das man mir das auf den ersten Blick ansieht. Oft genug sitze ich im Eiscafé und die Menschen um mich herum sind erstaunt, wenn ich im Rollstuhl wegfahre.  Irgendwie wird mein Rollstuhl oft gar nicht wahrgenommen.

Natürlich bin ich froh darüber, ich mag ganz ehrlich  gesagt nicht  krank und behindert gesehen werden.  Grade und in meiner Mitte sitzen befähigt mich nicht zu irgendwelchen speziellen Handlungen. Allerdings sitzt meine Kleidung einfach besser und der linke BH-Träger bewegt sich nicht ständig auf Abwege. Auch  macht es mich glücklicher, als ob ich damit auch innerlich mehr in meiner Mitte bin.

Noch vor einem Jahr im Sommer 2015 sah alles ein wenig anders aus. Der Vergleich ist sicher nicht 100%ig, weil ich auf dem linken Bild stehe und mein Arm nicht wie rechts leicht unterlagert ist.

Mein linker Fuß, der Spiegel meiner Seele

Das ist mein linker Fuß, hier ganz harmlos und recht entspannt. Oberhalb des Knöchels etwas geschwollen, deshalb drückt sich das Bündchen vom Strumpf so ab.

Anderen Menschen sieht man ihr Befinden in den Augen an, sie gucken strahlend glücklich oder auch traurig bedrückt.  Mein Seelenspiegel ist mein linker Fuß! Bei emotionaler Anspannung bin ich keineswegs in der Lage meinen Fuß so aufzustellen. Üblicherweise dreht er sich bei Stress und Anspannung aber auch großer Freude& Lachen nach innen und bleibt einfach nicht da stehen wo ich ihn gerne hätte. Auch löst sich die Ferse  dann vom Boden ab und alles wird zum klassischen Spitzfuß, die Zehen drücken, von mir ungewollt, mit viel Kraft in den Boden, mein Sprunggelenk wird bombenfest . Gehen geht damit dann gar nicht. Mit Konzentration und Ruhe, vor allem mit den Gedanken: „was fühlst du mit der Ferse? Ist da Kontakt? Wie fühlt es sich an?“ kann ich meinen Fuß wieder beruhigen und die Anspannung auflösen.

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Was ist Perfetti??

Das Perfetti- Konzept ist eine Behandlungsform, die bei neurologischer Erkrankungen wie z. B. Halbseitenlähmung, wie ich sie auch habe, oder auch MS angewandt wird. In der Hauptsache von Ergotherapeuten. Es ist keine Behandlungsmethode, bei der es ein festes Therapieprogramm, oder einen Übungskatalog gibt. Es werden nicht gleichbleibende  fast mechanisch ablaufende Bewegungsfolgen immer wieder geübt.

Ziel ist vielmehr eine Reorganisation des Nervensystems durch lernen. Dies geschieht durch das bewusste Lösen intelligenter Spür-Aufgaben, die auf die ganz eigenen Probleme eines jeden Patienten zugeschnitten sind. Damit verläuft die Therapie für jeden anders und jeder Patient lernt mit seinen eigenen Aufgaben. Unserer Gehirn benötigt zur Bewegungsplanung und Ausführung Informationen von unserem Körper und von unserer Umwelt, dem Raum um uns herum.

Grundlage zur Lösung der Therapieaufgaben ist der Tastsinn, das Fühlen mit unserer Haut, das Erspüren der Stellung unserer Gelenke im Raum und zueinander. Es geht bei allen Übungen immer um das Fühlen, um Achtsamkeit auf unser Inneres und unseren Körper. Man benötigt dazu in der Regel auch kein spezielles Therapiematerial, Alltagsgegenstände reichen völlig.

Insgesamt ist diese Art der Therapie sehr sanft und nicht unbedingt körperlich anstrengend. Dennoch ist es mental absolut erschöpfend und ermüdend, weil man mit allen seinen Gedanken und Sinnen und vollster Konzentration bei den Übungen ist.

Eine große Rolle spielen die Erinnerungen & Vorstellungen an Bewegungsverhalten und Gefühltes aus der gesunden Vergangenheit. Während der Therapie wird in den tiefsten  Tiefen unseres Hirns nach Erinnerungen an früher gesucht. So Sachen wie, wie fühlt es sich unter den Füßen an auf nassem Sand durch das Wattenmeer zu gehen? Was genau spürst du, stell es dir vor, wonach riecht es, spürst du den Wind und die Sonne? Wie bist du damals gegangen? Auch hier hat jeder Mensch seine eigenen Erinnerungen entsprechend seinen Vorlieben.

Zur besseren Vorstellung, eine aktuell Übung von mir siehst so aus:

Im Moment streicht während der Übung in meiner Vorstellung ein Wind über meinen linken Unterschenkel, meine Therapeutin streicht mit einem weichen Tuch aus verschiedenen Richtungen über meinen Unterschenkel.  Das alles in Kombination mit einem Geräusch(Castagnettengeklapper). So ist meine Aufgabe zu fühlen, ob Berührung und Geräusch aus der gleichen Richtung kommen.

 

Entschluss zu Perfetti

In meinem Beitrag „Quälgeister“ habe ich ja schon kurz erzählt. Also, ich möchte wieder laufen lernen! Und das nicht irgendwie, sondern möglichst schön, also so, das ein Nicht-Therapeuth möglichst von meiner körperlichen Einschränkung wenig merkt. Das ist ein absolut hochgegriffenes Ziel und ich weiß bis heute nicht, ob ich DAS erreichen kann. Aber egal. Der Weg ist das Ziel !!  Mit Orthesen

kann ich mich jedenfalls nur humpelnd durch die Welt bewegen und das unter Schmerzen auch nicht wirklich weit.  Um das zu verdeutlichen- ein Mal durch den Aldi zum Parkplatz hin und zurück ist möglich. Danach war ich aber so gestresst, das ich mich erst einmal übergeben habe und weil weder Schwindel noch Übelkeit aufhörten habe ich gleich noch ein Vomex A Zäpfchen hinterhergeschoben, im wahrsten Sinne des Wortes.  Ok, damit liege ich dann direkt wieder flach und high auf dem Bett aber mir ist nicht mehr übel.

Ich habs wirklich probiert, wollte ein guter Patient sein und habe alles gemacht, was Ärzte und Therapeuten so empfehlen. Mein Körper und mein Hirn haben allerdings ihren eigenen Willen gehabt, streikten und zeigten mir durch dauernden Schwindel und Übelkeit, das es so nicht gehen kann.  Letztendlich habe ich mich nicht mehr aus dem Haus gewagt, da ich  Angst hatte, an der nächsten Ecke schon wieder brechen zu müssen.

Und dann wurde ich noch nicht einmal schlank davon. Ist das nicht ungerecht?

 

Durch Zufall konnte ich  2010 für zwei Wochen in eine wunderbare italienische Rehabilitationsklinik .

Hier gelangen mir dann endlich wieder Fortschritte, winzig klein, aber doch Erfolge.  Dazu sollte ich allerdings auf meine Orthesen verzichten. Da ich die Dinger ja eh gehasst habe, fiel mir diese Entscheidung nicht schwer. Also Kehrtmarsch zurück in den ungeliebten Rollstuhl. Alles wieder ohne großartig zu überlegen, sondern aus dem Gefühl heraus das  für mich Richtige zu tun.

Achtung Achtung: Hier ist es wichtig. Ich kann meinem Bauchgefühl tatsächlich vertrauen. Entscheidungen, die ich ohne zu überlegen treffe, ganz intuitiv, sind durchaus richtig und gut für mich.

 

Meine Quälgeister

Nach dem Schädel-Hirn-Trauma war ich zunächst mehr tot als lebendig, konnte mich nicht bewegen, nicht essen und nicht trinken (wegen einer Schluckstörung). Alls das habe ich anfangs überhaupt nicht mitbekommen, da ich ja gnädigerweise bis Oberkante Schädelknochen sediert und total mit Morphium zugedröhnt war.

Irgendwann dann landete ich in einer neurologischen Rehaklinik und wollte wieder gehen lernen. Am besten natürlich sofort! „Geduld“ und die Bedeutung davon kannte ich bis dato nicht wirklich.

Damit der Patient möglichst schnell wieder in die Vertikale und in Bewegung kommt, wird er in Rehakliniken vorzugsweise mit Hilfsmitteln ausgestattet. Meine allererste Orthese war diese:

thoenissen-ortheseDiese tat immerhin nicht weh, aber gehen konnte ich damit auch nicht wirklich. Und diese Viecher passen entgegen den Herstellerangaben  nicht in normale Schuhe. damit begann dann also für mich das Zeitalter der orthopädischen Schuhe.

Bitte vergesst nicht: “ Ich war junge 40 Jahre alt, an Stöckelschuhe gewöhnt, hatte wegen diverser Operationen kaum Haare  auf dem Kopf, aber schicke  blutrote bis schorfig schwarze Frankensteinnarben. Und nun auch noch DAS!  Von wegen Oben hui, unten pfui. Ich fühlte mich pfui von oben bis unten. Ein komplettes Deseaster.

Wenn es denn wenigstens  geholfen hätte. Im Laufe meiner Rehabilitationsmaßnahmen wurden mir verschiedene Folterinstrumente/Orthesen verabreicht.

img_0664Ich kann euch nur sagen, diese Dinger verursachen alle nur Schmerzen und das nicht zu knapp. Damit wird versucht den Fuß mit Gewalt in eine halbwegs  korrekte physiologische Position zu bringen.

Dabei hatte ich doch nur Läsionen, also defekte Bereiche in meinem Gehirn.  Aber da helfen keine Orthesen und auch Aspirin versagt!

Diese ewigen Schmerzen mit den Folterinstrumenten und das Gefühl, meinen Körper damit zu vergewaltigen, haben mich so etwa im Jahr 2010 dazu gebracht, nicht mehr den bei meiner Erkrankung üblichen Therapiemethoden, wie Bobath, Vojta, PNF, etc. zu folgen.  Ich entschloss mich, mich nur noch nach dem Perfetti-Konzept behandeln zu lassen.

Dazu in einem anderen Beitrag mehr.